Eingeschnappte Luftpumpen

1920 1200 Elisabeth Karsten

Bei allem Bemühen, ein anständiger, verständnisvoller und liebevoller Mensch zu sein, verliere ich dennoch manchmal meine Contenance. Ein starkes Selbstbewusstsein und ein schwaches Talent können eine gefährliche Kombination sein. Ich werde dann zum feuerspeienden Drachen, der mit seinem heißen Atem gewisse Gemüter mächtig verletzt. Aus meiner Sicht sind das nur angesengte Egos – aber bitte, da gehen die Meinungen auseinander.

Einem stolzen Fotografen mit Abdruckambition teilte ich mal mit, dass seine ausdruckslosen Fotos allenfalls als Drucker-Farbtest taugen. Einer selbstentzückten Malerin erklärte ich, dass ihre Bilder sich optimal zur Dekoration von Kleinstadt Wartezimmern eignen. Einem Comedian, der nicht mal Otto Waalkes gut imitieren konnte, sagte ich, seine Darbietung sei ein Folterwerkzeug.

Dabei gibt es keinen Unterschied zwischen Profis und Amateuren. Es gibt völlig dilettantische Profis und geniale Amateure. Keine Frage. Und das „Möchtegern-Syndrom“ nimmt auf vorhandene oder nicht-vorhandene Qualifikationen keine Rücksicht. Aber mit etwas mehr Fach- und Sachkenntnis wird das Leidenspotenzial der Zwangsbeglückten höher.

Mit der Machete durchs Egogestrüpp

Zu Zeiten meiner Tätigkeit in der Filmbranche vor vielen Jahren, erbat einmal ein Schauspieler meine Meinung zu einem seiner selbstverfassten Drehbücher. Ich warnte ihn im Voraus, dass ich mich als Anwältin dessen sähe, was erzählt werden wolle. Denn aus meiner Sicht gäbe es ahndenswerte Dramaturgiesünden. Dabei würde ich auf die Eitelkeit des Autors keinerlei Rücksicht nehmen. Aber er bettelte und bat inständig, ich möge ehrlich sein, es sei doch zu seinem Wohl?!

Also habe ich mich hingesetzt und eine wirklich wunderbare Idee mit liebevollen Anmerkungen und konstruktiven Vorschlägen (wie ich finde) von dem Eitelkeitsballast des Autors befreit. Beispielsweise kam in der Geschichte eine Figur vor, die da überhaupt nicht hineinpasste und den Ereignisfluss unnötig verkomplizierte. Doch diese Figur hatte er für sich selbst geschrieben, wie unschwer zu erkennen war, weil die Rollenbeschreibung ihm aufs Haar entsprach… Und ich schlug vor, für diese Figur eine eigene Geschichte zu erfinden, statt sie in die andere hineinzuzwingen. Denn für mich war es, als ob man den Kotflügel eines VW-Käfers an einen Porsche montieren wolle.

Talentmörder

Beim nächsten Treffen war der Schauspieler dann deutlich geknickt. Aus seiner Sicht hatte ich sein doch so großartiges Werk zerstört. Ich erwiderte, er müsse sich eben überlegen, ob er seine Zuschauer erreichen und ihnen Freude machen wolle. Oder ob es ihm um seine Rolle dabei ginge – auf Kosten der Story. Im Übrigen sei aus meiner Sicht sein Talent als Schauspieler weit größer denn als Drehbuchautor. Das Treffen fand ein jähes Ende.

Ein paar Tage später rief er mich an und erklärte schulmeisterlich, ich hätte einen Kardinalfehler gemacht! Aber er wäre bereit, meine Entschuldigung entgegenzunehmen und mir eine neue Chance zu geben. Ich sei doch im Grunde ein netter Mensch! Und als verantwortlicher Mensch dürfe man einen anderen nie kleinmachen und niemals sagen, er sei unbegabt, oder untalentiert! Erst recht nicht, wenn er dafür so viel Leidenschaft empfände. Das könne nämlich traumatisch sein und Leben versauen.

Ich entgegnete, es sei ja bitte nur meine Meinung und wenn er weder mich noch sich so schrecklich wichtig nehmen würde, wäre sicher alles einfacher und seine Story hätte ´ne Chance. Er legte auf und ich dachte so bei mir, wer hier wessen Leben versaut ist noch nicht wirklich geklärt.

Und der Gewinner ist…

Alle paar Jahre erfahre ich nun von einem erneuten Filmprojekt, dass er umgesetzt und in die Kinos gebracht hat. Mit der gleichen Regelmäßigkeit erhalten die Filme vernichtende Kritiken und schaffen es mangels Zuschauerzahlen nie über die erste Kinowoche hinaus. Das Talent des Herrn ist ganz offensichtlich woanders. Beharrlichkeit, Durchhaltevermögen und ein unerschütterliches Selbstbewusstsein gehören dazu. Bis heute.

Literatur oder Neurose

Das zweite Beispiel: eine junge Journalistin, die mich nach Erhalt eines Drehbuchpreises interviewt hatte, bat mich anschließend, ich möge doch ihren ersten Roman lesen. Er sei „stark biographisch.“ Ich weigerte mich standhaft. Aber beim 10. Anruf erwiderte ich erschöpft: „Gut. Dann auf eigene Gefahr.“ Sie war euphorisch und ich las das epische Opus.
Wenig überrascht stellte ich fest, dass es, im pseudo-Hera-Lind-Stil geschrieben, ausführlich ihre unguten Fantasien außerhalb ihrer Ehe schilderte. Was die Sache besonders pikant machte: die Namen der Figuren entsprachen den realen Namen der beschriebenen Menschen. Ich erklärte ihr, dass der Unterhaltungswert des Buchs leider sehr gering sei. Nicht nur sei es sprachlich und stilistisch mühsam. Sondern man würde als Leser auch gezwungen auf qualvolle Weise zum Zeugen ihrer ungeklärten Eheprobleme zu werden, ohne dass man einer Lösung teilhaftig würde. Das sei eine Zumutung! Sie solle besser endlich mit ihrem Mann reden und eine Therapie machen, als sich auf hunderten von Seiten auszukotzen und andere zuzumüllen.

Meine Antwort erschütterte sie so, dass ihr liebender Mann sie fragte, was denn los sei und sie klagte ihr Leid. Daraufhin las er das Werk. Die Ehe ging in die Brüche und sie musste sich in psychiatrische Behandlung begeben. Er schenkte mir einen großen Blumenstrauß und einen Kunststoff-Oscar und verließ die Stadt.

Wörter können sich nicht wehren

Auf einem Familienaufstellungsseminar erfuhr einer der Teilnehmer, dass ich Autorin bin. Bei der nächsten Gelegenheit erklärte er stolz, er schriebe auch schon seit zwei Jahren an seinem ersten Roman. Seine wehende Dichtermähne in den Nacken werfend, fügte er hinzu: er sei schon auf Seite 3! Mit verschwörerischem Augenaufschlag senkte er dann seine Stimme und fragte, was ich denn empfehlen könne, um sein Schreiben zu unterstützen und zu beschleunigen. Ich war sprachlos. Aber die Freundin, mit der ich zusammen auf dem Seminar war, rief: „Disziplin und den Duden!“

Ein Herz für Geschichten

Ehrlich gesagt, ist es auch dieser häufige Talentmangel gepaart mit umso größerer Arroganz, insgeheim doch besser zu sein als die großen Meister der Filmkunst, die dafür gesorgt hat, dass ich Angebote Drehbuchkurse zu unterrichten, schließlich ablehnte. Natürlich gibt´s Ausnahmen. Aber mir sind es zu wenige.

Ich habe wirklich ein Herz für gute Ideen, poetische Bilder, spannende Geschichten und anregenden Sprachgebrauch. Und ich kann die Potenziale dafür durchaus wahrnehmen und würdigen. Sogar, wie eine Geschichte andere nachhaltig berühren kann. Doch landen diese viel zu häufig durch eine miserable Bearbeitung – oftmals klischeelastig und einfallslos – im Reich der schöpferischen Blindgänger. Gefühlt ein Schrottplatz, der sich weit in den Kosmos erstreckt. Nur Neidnattern und Gehässigkeitsasseln können dort überleben.

Kunst ist ein Dialog mit der Schöpfung

Mich hat es zu der Entscheidung geführt, dass ich nur noch Autoren unterstütze, die auch von ihren Geschichten geschrieben werden. Es ist nämlich eine Wechselwirkung. Wir schreiben und werden geschrieben. Das gilt meiner Meinung nach für alle Schöpfungen: wir kreieren sie – und wenn wir dazu bereit sind, sie uns. Das finde ich reizvoll. Und allen anderen winke ich freundlich und möglichst neutral zu. Sie können selbst entscheiden, ob es ein ermutigendes oder abwehrendes Winken ist.

Und dann gibt es noch all diese Talentwettbewerbe in unserer Kultur – darüber habe ich mich schon mal ausgelassen… Deswegen hier nur der Hinweis darauf.

Die Talente wollen gelebt werden

All diese Erfahrungen, haben mich schließlich in meiner Leidenschaft bestärkt, Menschen zu unterstützen, ihre wahren Talente zu entdecken und zu leben. Ich bin absolut davon überzeugt, dass jeder von uns mindestens ein ausbaufähiges Talent hat. Mit dem wurde er geboren und er kann und soll es zu seiner Freude und der seiner Umwelt zum Ausdruck bringen. Selbst wenn es manchmal mit einer merkwürdigen Verzerrung geschieht, wie der Fall von Florence Foster Jenkins deutlich macht.

Doch ein Hindernis auf diesem Weg ist die häufige Verwechslung von dem, wie wir gerne wahrgenommen würden und dem, wie wir tatsächlich sind. Die meisten „Möchte-Gerns“ leiden eigentlich unter einem verzerrten Selbstwert. Sie können ihr wahres Talent weder sehen, noch fühlen, noch ausreichend würdigen. Das ist zutiefst tragisch. Denn die Folge ist, dass sie der Welt ihre Drittklassigkeit zumuten. Manchmal sogar noch mit dem Zusatz, dass sie „echt lange und viel daran gearbeitet haben.“ Das ist leider keine Garantie für Qualität. Genauso wenig wie: „Ich hatte da eine spontane Eingebung…“

Freude und Freunde helfen

Der einzige brauchbare Hinweis, ob wir wirklich für etwas Talent haben und dass dies der Weg ist, der beschritten werden möchte, ist – große Freude am eigenen Tun und Wesen zu haben. Sich dem hinzugeben, sollte uns innerlich erfüllen und nähren. Und manchmal geht´s darüber leider nicht hinaus, schon gar nicht zu Lebzeiten. (Das ist auch so eine unverhohlene Vorstellung, der Luftpumpen, als Meisterflötisten von unserer Zeit verkannt zu werden…)

Und großartig ist es, wenn die Außenwelt – die Menschen, auf deren Wahrnehmung wir wert legen, sich ebenfalls für unser Tun begeistern und die Freude ehrlich teilen. Und nicht nur Freunde und Verwandte, die das uns zuliebe tun, sondern weil sie unsere Schöpfungen ehrlich zu wertschätzen wissen!

Wie tragisch ist es doch, wenn alle zusammenzucken, weil Onkel Georg wieder „ein selbstgeschriebenes Poem zum Besten gibt“ Dabei ist er vielleicht ein begnadeter Gärtner? Oder alle diesen gequälten Gesichtsausdruck kriegen, wenn die Kollegin strahlend ihr Selbstgebackenes anbietet? Dabei wissen alle, dass egal, wie viel Mühe und Liebe da laut ihrer Beteuerungen drinsteckt und es außerdem zucker- und glutenfrei, vegan und sowieso vollbio ist – eben doch schmeckt, wie Puderquasten. Dabei hat sie in Wirklichkeit vielleicht echtes Geschick fürs Haare schneiden oder Macramé? Oder ist eine super Babyflüsterin?

Diese Bewusstseinsverzerrung ist Teil unserer Welt

Ich habe das inzwischen weitestgehend akzeptiert. Es gibt halt Puddingteilchen, die sich für eine Torte halten. Und offenbar begnadete Tiefseetaucher, die leider nie weiter als bis zum Grund der Badewanne gekommen sind…
Doch mir sind auch schon Golfschläger begegnet, die sich für Minigolfschläger hielten. Denn genau, wie manches Können massiv überschätzt wird, unterschätzen so manche ihre Begabungen. Meist, weil sie ihnen leichtfallen. Dabei wäre der Ausbau so lohnend!

Ich habe es mir inzwischen zur Aufgabe gemacht, jedes Talent, das mir unterkommt, unbedingt zu würdigen! Egal, welcher Natur es ist. Hauptsache es ist echt, aus dem eigenen Wesens und voll authentisch! Denn dass es für andere spürbar aus der Tiefe des Herzens kommt…ist das, was uns schließlich in unseren Herzen berührt und unser eigenes Schöpfungspotenzial anschwingt. Das lieben wir alle.

Wir sind alle Schatzsucher

Doch wenn das nicht der Fall ist, und sich wieder mal jemand zu meinen Lasten in seinem Schöpfungsausdruck verirrt, wird mein Drachenatem heiß. Dann gibt´s.… angesengte Puddingteilchen, eingeschnappte Luftpumpen und Tiefseetaucher, die plötzlich auf dem Trocknen sitzen.

Nun denn, es ist Teil meiner Wirklichkeit und der Menschen, die mich ihrem Tun aussetzen. Bedingungslos lieben heißt nicht, alles bedingungslos akzeptieren müssen…

Und natürlich bin ich Kindern gegenüber gnädig – die erforschen sich ja noch selbst. Aber bei Erwachsenen, die bei der Selbsterforschung ihr Gold ignorieren und stattdessen das innere Styropor für einen Schatz halten – da kenne ich kein Pardon. Denn das ist eine Missachtung ihrer und meiner Talente. Und dafür sind wir doch auch hierhergekommen: die Welt mit unsren einzigartigen Talenten zu einer besseren zu machen! Gerade jetzt!