Filmstreifen

Der Wert des Lebens?

960 678 Elisabeth Karsten

Wie im vorigen Artikel angekündigt, hier ein Gedanke, der meiner Ansicht nach in der ganzen Terrorismus- und Kriegsdebatte ausführlicherer Betrachtung bedarf.  Was ist uns das Leben wert?

Es wimmelt vor Widersprüchen

Vielen Menschen ist ihr Leben bekanntermaßen so kostbar, dass sie es riskieren, um es zu behalten. Für viele Waffenträger ist das das entscheidende Argument. Wie sollen sie ihr Leben verteidigen, wenn andere sie mit einer Waffe bedrohen? Der verständliche Wunsch nach Selbstverteidigung hat jedoch heftige Blüten getrieben. Er wurde zur Grundlage einer eigenen Industrie. Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy stellt dazu die pointierte Frage: „Brauchen wir Waffen, um Kriege zu bekämpfen oder brauchen wir Kriege, um Märkte für Waffen zu schaffen?“

Und eben diese Angst, unser Leben zu verlieren, macht uns total verletzbar und – manipulierbar. Es gibt dann eine Art Waffenstillstand der Angst. „Wenn Du nicht schießt, schieße ich auch nicht.“ Aber die Bedrohung bleibt. Und auch die Angst vor dem Verlust des eigenen Lebens und obendrein auf schmerzhafte und qualvolle Weise zu sterben. Diese Angst ist so groß, dass eine einigermaßen gelassene Diskussion darüber kaum möglich ist. Denn den Wert des Lebens in Frage zu stellen – gehört sich nicht! Es versteht sich doch von selbst, dass dies das höchste Gut ist!

 Aber ist es das? Wirklich und immer?

Kriege

Bekanntermaßen müssen Strategen in Kriegssituationen immer wieder abwägen, was wichtiger ist.  Der Sieg, oder das Leben möglichst vieler Unschuldiger zu retten? Oft hat die langfristige Rettung vieler den Vorzug über die kurzfristige Rettung einiger erhalten. Schön herausgearbeitet ist das in dem Film „The Imitation Game“ (GB 2014) über Alan Turing. Dem Briten gelang es, den bis dahin unknackbaren Verschlüsselungscode der Wehrmacht zu knacken. Doch als sie die deutschen Geheimbefehle für Bombardierungen und Angriffe entschlüsseln konnten und also um Angriffszeitpunkte und Ziele wussten, wäre es strategisch unklug gewesen, ihr Wissen zu offenbaren, indem sie die Menschen geschützt oder gewarnt hätten…

Sterbehilfe

Und seit Jahrzehnten tobt der Kampf um ein würdiges Ableben. Sei es durch die eigene Hand oder durch die Hand eines anderen. Darüber gibt es jede Menge Dokumentationen, Filme, Artikel und Gerichtsurteile. In vielen Ländern wird das unterschiedlich gehandhabt. Die etwas humanere Haltung der Schweiz führt viele Deutsche dazu, in die Schweiz zu reisen, um ihrem Leben ein Ende zu setzen oder setzen zu lassen. Auch wenn das manchmal eine kostspielige und komplizierte Art des Reisens bedeutet, wenn der Sterbewillige schon sehr krank ist… Dazu gehört auch immer wieder die medizinische Debatte, wieviel Krankheit ein Leben unwert macht…

Selbstmord gilt als unethisch

Grundsätzlich gilt Selbstmord als unethisch und nur Menschen, die sehr depressiv sind, am Leben zweifeln etc. wählen diesen „letzten Ausweg“. Auch über Selbstmord ist viel nachgedacht und geschrieben worden. Ich selbst war als Studentin so von dem Thema fasziniert, dass ich ein Seminar über Selbstmord belegte. Es war ein interdisziplinäres Seminar. Also kamen Theologen, Medizinphilosophen und Germanistikstudenten zusammen und reflektierten darüber. Was mich persönlich am meisten faszinierte war, dass ein altes deutsches Wort dafür „Freitod“ ist. Als ob wir wenigstens frei entscheiden können, wann wir dieses Leben verlassen, wenn wir schon offenbar nicht frei darin sind, zu entscheiden ob und wann wir kommen wollen…

Ich habe auch nie verstanden, warum diese ultimative Entscheidung eines Menschen so verwerflich sein soll. Ich fand, er verdiene vor allem Mitgefühl – denn keiner träfe so eine Entscheidung, wenn er eine bessere Alternative hätte…

Todesstrafe

Und dann muss wohl auch an dieser Stelle die noch in derzeit 56 Ländern vorhandene Todesstrafe erwähnt werden. Diese trifft vor allem Schwerverbrecher, die ihrerseits das Leben anderer auf dem Gewissen haben. Ihr Leben wird damit auch für nicht mehr lebenswert erklärt… Auch darüber wird oft und viel diskutiert.

Der finanzielle Aspekt

Gerade in der Industrie ist das menschliche Leben ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Wie sicher müssen Autos, Flugzeuge etc. sein, damit Menschen unbeschadet fahren können? Wie ausführlich muss die Gebrauchsanweisung eines Staubsaugers sein, damit die Firma nicht verklagt wird, falls jemand auf die Idee kommt, damit sein Leben zu beenden?

Als repräsentatives Beispiel hier die Geschichte eines Kraftfahrzeugs des amerikanischen Ford Pinto von 1970:

Bei diesem Autotyp war der Tank so angebracht, dass leichte Auffahrunfälle ihn bereits beschädigen und so einen Autobrand auslösen konnten. Dessen war sich die Autofirma bewusst. Doch ihre internen Berechnungen ergaben, dass die jährlichen Schadensersatzkosten der Menschen, die auf diese Weise verletzt wurden oder ums Leben kam, weit niedriger ausfielen, als jedes Auto vorsorglich mit einem besser geschützten Tank auszustatten… Also entschieden sie, lieber Schadensersatzsummen zu zahlen, als die Tanks sicherer zu machen.

Wert durch Leistung

Zum finanziellen Aspekt unseres Seins gehört neben unserer Kaufkraft auch, was ein Mensch im Laufe seines Lebens zum Bruttosozialprodukt beiträgt. Das führt beispielsweise zu der ethisch heiklen Beobachtung, dass ein weißer Mann mehr einbringt, als eine farbige Frau… usw. Oder dass Menschen ab einem gewissen Alter einer aufwendigen und teuren lebenserhaltenden medizinischen Behandlung nicht mehr würdig befunden werden. Andererseits aber, dass auch wenn es eigentlich eine leidvolle Verlängerung ihres Lebens bedeutet, dem Krankenhaus jedoch Geld einbringt, lebensverlängernde Maßnahmen stattfinden.

Denn natürlich müssen auch Krankenhäuser Lebenserhaltung budgetieren, Versicherungen müssen dauernd ausrechnen, was ein menschliches Leben wert ist und auch das Militär stellt dazu Berechnungen an. All dies wird in verschiedenen Ländern natürlich unterschiedlich bewertet…Und auch in der jeweiligen (staatlichen) Sicherheitsplanung gilt dies als ein heißes Eisen… Wikipedia hat dem auch dem einen eigenen Artikel gewidmet.

Der persönliche Wert

Dann gibt es noch all die Diskussionen darum, wie lebenswert das Leben aus subjektiver Sicht ist oder sein sollte… Das Spektrum ist breit. Von den Schriften der Philosophen bis zu aktuellen online Foren und Studien. Beispielsweise gab es 2009 eine sozialwissenschaftliche Umfrage, bei der 1002 Deutsche gefragt wurden, ob sie für eine Million Euro bereit sein, ein Jahr früher zu sterben. Je älter die Befragten waren, umso geringer war ihre Bereitschaft… (Wikipedia zitiert dazu einen Artikel aus der FAZS vom 28. März 2010)

Und je jünger jemand ist, umso mehr wird getrauert. Um all das, was er oder sie nun haben nicht mehr erleben können/dürfen…Manchmal mischt sich auch Dankbarkeit darin, für all das was ihm oder ihr nun erspart geblieben ist… Je nach Verfassung, Verhältnis und Perspektive.

Die Absolutheit des Todes

Denn, bekanntermaßen kann sich außer ein paar Menschen, die so genannte „Nahtoderfahrungen“ hatten, kaum einer an die Rückkehr von dort erinnern (und diese Menschen werden selten ernst genommen). Entsprechend gilt der Tod als endgültig und final. Für viele ist es auch das, was sie am meisten fürchten. Diese Endgültigkeit und dem Zeitpunkt so ahnungslos ausgeliefert zu sein.

Natürlich gibt es einige weitere Aspekte, die unser Verhältnis zum Tod bestimmen. Sie alle hier ausführlich aufzuführen ist gar nicht unbedingt nötig. Denn auch diese basieren – wie die obigen ausführlicher genannten Betrachtungsweisen, auf der – zumindest in unserer westlichen Kultur – weit verbreiteten Grundannahme, dass das Leben einmalig und einzigartig ist. Denn tatsächlich gilt dies für das Judentum, den Islam und das Christentum. Nur Hinduismus und Buddhismus haben den Reinkarnationsgedanken in ihren Glaubenssystemen verankert. Tatsächlich fürchten ihre Gläubigen weit mehr als den Tod ein mieses nächstes Leben…

Ein Perspektivwechsel

Als ich begriff, dass Reinkarnation eine Tatsache – und keine Glaubenssache ist – veränderte sich mein Blick auf den Tod entscheidend. Bei mir begann das sehr früh. Ich wusste schon als Kind, dass ich Gedanken und Gefühle hatte, die meinen kindlichen Horizont sprengten. Und ich wußte, ich „wusste“ das „von früher“. Als ich schließlich mit der Reinkarnationslehre in Kontakt kam, bekam das ganze eine sinnstiftende Form. Ich glaube, es war sogar durch den Religionsunterricht in der Schule, wo wir den Glauben anderer Religionen diskutierten. Hinzu kamen ein paar persönliche Erfahrungen, mit mehr oder weniger bewussten „Wiederbegegnungen“ mit anderen. Sie machten mir deutlich: ich bin nicht zum ersten Mal hier und wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal…

Kurz, ich halte es mit Michael Roads, der immer wieder so treffend sagt: „Es stimmt, wir haben nur ein Leben. Aber dieses Leben ist unendlich. Unser Leben gleicht einem unendlich langen Film und jedes einzelne Leben ist nur ein Bild aus dem gesamten Film…“ Und nicht nur unser Leben ist ein einziger langer Film! Alle, die darin mitspielen, sind auch immer wieder dieselben.

Ähnlich, wie ein Bühnenensemble in unterschiedlichen Stücken unterschiedliche Rollen einnimmt, so spielen wir selbst in unterschiedlichen Leben unterschiedliche Rollen in unterschiedliche Positionen. Mal sind wir Geschwister, mal Freunde, mal Eltern und Kinder, mal Feinde, mal Verbündete, mal Geschäftspartner usw.

Wer über sein eigenes aktuelles Leben hinaus denkt, hat andere Werte

Wenn man diesen Gedanken konsequent zu Ende denkt, begreift man, dass man selbst und auch alle anderen – unsterblich sind. So unfassbar das auch erscheint, weil man meist kein Bewusstsein über „das Ganze“ hat. Und diese Unsterblichkeit betrifft natürlich auch nicht die aktuellen Rolle, die man gerade spielt, sondern das Wesen, das diese erfüllt. Wenn man beginnt, aus dieser Haltung zu agieren – ändert sich vieles.

Die scheinbare Endlichkeit des Lebens und des eigenen Wesens ist dann in eine ähnliche Kategorie einzuordnen, wie ein bestimmter Beruf, den man unter bestimmten Bedingungen eine Weile ausgeübt hat. Oft ändern sich die Bedingungen und damit auch das berufliche Profil. Anforderungen, Zeiten und Orte verändern sich ohnehin oft. Doch ob man sein eigenes Leben als erfüllend betrachtet, ist nicht von einzelnen Tätigkeiten zu gewissen Zeiten abhängig – sondern von ihrer Summe: Es geht um’s Ganze!

Das illustriert auch die Verblüffung britischer Kolonialbeamten ob indischer Angeklagter. Diese zogen es vor, die Wahrheit zu sagen, auch wenn ihnen das Lügen eine kürzere Haftstrafe eingebracht hätte. Diese Inder hatten ihr gesamtes Leben im Blick, nicht nur ihre aktuelle Inkarnation und kurzfristige Erleichterung. Ihnen war ihre langfristige Integrität und Authentizität heilig!

Die größere Perspektive weitet das Bewusstsein

Dieser entschieden größere Blick aufs unendliche Leben in Kombination mit gewaltfreiem Widerstand kann eine enorme Ermächtigung bedeuten, wie sie Mahatma Gandhi mit seiner Satyagrahabewegung gelebt und gelehrt hat.

Wenn man den Reinkarnationsgedanken und also damit die Idee zulassen kann, dass wir in Wahrheit unsterblich sind und unsere Seele also nur den Körper austauscht, dann kann man sich auch vorstellen, dass man schon öfters da war. Als Sohn oder Tochter unterschiedlichster Mütter und Väter stand man selbst wiederum anderen Seelen als irdischer Elternteil zur Verfügung. Bedauerlicherweise gibt es aus unserer beschränkten materiellen Sicht keine Möglichkeit einer inkarnationsübergreifenden Genealogie… Aber die Betrachtung einer solchen Aufstellung wäre sicher sehr aufschlussreich. Denn wir würden wahrscheinlich erkennen: letztlich sind wir eh alle in gewisser Weise miteinander verwandt…

Wir brauchen einen besseren Bewusstseinsimperativ!

Derzeit gilt: das Leben eines Menschen ist unbedingt an das Funktionieren seines physischen Körpers gekoppelt. Wenn der versagt, ist das Leben zu Ende und also ist jeder von uns ein sterbliches Wesen. Doch wenn stattdessen die Unsterblichkeit und die Verbindung aller Wesen anerkannt würde…

 …dann könnte ich mir viele positive Entwicklungen vorstellen:

  • Man würde auf sämtliche Mitmenschen mit einer anderen Haltung blicken, dass man ihnen nämlich auf die eine oder andere Weise näher ist, als der Blick aus einem einzelnen Leben vermuten lässt.
  • dann hätte das, was man jetzt tut oder nicht tut, nicht nur Konsequenzen für die eigenen Kinder und Enkel, sondern auch für einen Selbst – wenn auch in einem neuen Körper… Das würde ein verantwortungsbewussteres Verhalten mit sich bringen. (Das verweist auf den Karma-Gedanken…den hier zu erörtern, führt zu weit.)
  • Es führt gewaltsame Auseinandersetzungen mit Waffen ad absurdum, denn ggf. kommen beide wieder, stehen sich erneut gegenüber (vielleicht diesmal auf vertauschten Seiten) und knallen sich erneut ab… Wenn man dabei den Sportsgeist eines Computerspielfans hat, mag das noch unterhaltsam sein. Ansonsten ist es auf Dauer ganz schön mühselig, den ganzen Geburts- und Erwachsenwerdungsprozess zu durchlaufen…
  • Also wäre doch der Blick auf eine (inkarnationsübergreifende) Friedenstiftung wesentlich ergiebiger…für alle?!

Und sicher noch vieles andere, was die Sicht auf das eigene Leben und das Leben der Allgemeinheit entzerrt. Dann wird klar, dass nicht alles, was man weiß, Wissen aus diesem Leben ist, sondern über mehrere Inkarnate angeeignet… Andererseits geht auch nichts von den metaphysisch erworbenen Qualitäten und Fähigkeiten verloren, wie z.B. Weisheit, Mitgefühl und Großzügigkeit. Leider wird es meist vergessen. Aber sich zu erinnern, ist einfacher, als es lernen zu müssen! Das Bankkonto ist halt sehr an die physischen Gegebenheiten gebunden – jedoch nicht unser innerer Reichtum…

Desweiteren wird einem bewusster, wie wichtig Selbstverantwortung ist. Und dem eigenen Wesen treu zu bleiben und beim Blick auf das eigene auch nie das bestmögliche Wohl aller aus den Augen zu verlieren…

Das höchste Gut ist unsere eigene Haltung

Ich wage zu sagen, dass das höchste Gut nicht das Leben ist. Denn das ist ohnehin unzerstörbar, weil unabhängig von unserer physischen Form. Doch wesentlich dabei ist die eigene Lebenseinstellung. Sie sollte so hochkarätig, wie möglich sein. Diese gilt es also zu entwickeln und zu achten. Denn ein kurzes, bewusst und intensiv gelebtes Leben erscheint definitiv sinn- und damit wertvoller als ein langes, unbewusstes Dahinvegetieren…

Wieder geht es um Ausgewogenheit

Und auch hier ist der Balancegedanke wichtig. Es ist offenbar sinnvoll und wichtig, so bewusst und intensiv wie möglich, der Liebe durch das eigene Wesen Ausdruck zu verleihen. So gut man das eben mit seinem aktuellen Bewusstseinszustand kann. Und aus und in Liebe zu handeln heißt nicht, weltfremd und naiv zu sein…

Aber noch ist das in unserer Welt die Domäne verrückter Esoteriker. Während unsere Welt derzeit von rationalistischen Exoterikern beherrscht wird – zumindest halten sie sich dafür. Dennoch erscheinen viele davon eher als wahnsinnige Ignoranten…oder, noch extremer, als machtbesessene Fanatiker… Doch die Zeit ist auf der Seite derjenigen, die einen wirklich langen Atem haben und über das eigene Leben hinaus denken können…und leben! Damit kann man jederzeit beginnen…wenn man es nicht schon tut!