Narzissmus 2: Was Selbstliebe ist

800 1067 Elisabeth Karsten

Der vorangegangene Artikel beschreibt den Ursprung und die Folgen von narzisstischen Störungen in unserer Gesellschaft, wie Hans-Joachim Maaz sie in seinem Buch „Die narzisstische Gesellschaft“ beschrieben hat. Dieser Artikel widmet sich den Heilmöglichkeiten von Narzissmus. Meiner Meinung nach ist der Schlüssel die Selbstliebe.

Denn ein Narzisst strebt nach maximaler Aufmerksamkeit und Anerkennung, die er für Liebe hält. Hätte er genug Liebe, könnte er auf diese Kompensationsmechanismen verzichten.

Narzissmus ist heilbar

Ich persönlich bin davon überzeugt, dass auch Narzissmus heilbar ist. Denn ich habe schon Menschen kennengelernt, die mit schwerer „narzisstischer Störung“ diagnostiziert wurden und diese doch überwunden hatten. Oder auch Menschen, die diese selbst bei sich erkannt haben und nach einigen Jahren weit weniger gestört schienen. Man kann Mitgefühl, Anteilnahme und Lieben tatsächlich lernen und gezielt üben.

Michael Roads, der spirituelle Lehrer aus Australien, hat als Dauerempfehlung für alles und jeden: „Choose Love“ – „Wähle Liebe“. Insbesondere Menschen, die krank sind, egal ob physisch oder psychisch empfiehlt er – auch wenn sie es zunächst nicht fühlen können – sich zweimal täglich vor dem Spiegel mindestens zwanzig Minuten lang zu sagen: „Ich liebe dich“. Seiner Erfahrung nach stellt sich dann mit der Zeit auch das Gefühl ein. Denn dieser Satz ist ein Aufruf an das Bewusstsein, diese Wirklichkeit dann auch zu manifestieren. Das führt meist auch zu einer massiven Verringerung bis hin zum Verschwinden der Beschwerden.

Auch meine eigene Arbeit hat mir gezeigt, dass es sehr wohl Wege gibt, diese Urwunden der mangelnden elterlichen Liebe aus der frühen Kindheit zu heilen. Ganz unabhängig davon, wie sie einstmals entstanden sind. Das Fehlen dieser Liebe kann neben bereits vorhandenen Gefühlsblockaden bei den Eltern, z.B. durch Traumata, auch durch den frühen Verlust oder die Abwesenheit eines Elternteils verursacht worden sein. Gerade letzteres ist ein heißes Eisen in unserer Welt mit so vielen Alleinerziehenden.

Neben Therapie hilft auch psycho-energetisches Arbeiten

Zwei Wege haben sich dabei bisher als ergiebig erwiesen. Zum einen kann man mit gründlicher psycho-emotionaler Arbeit mit dem inneren Kind in Kontakt gehen. Und dabei gezielt mit jenem Aspekt, der so früh und nachhaltig verletzt wurde. Diesen Schmerz kann man dann in sicherer Umgebung fühlen und ihn dann endlich loslassen. Dazu muss man jedoch bereit sein, diesen oft enormen Urschmerz der nicht erfahrenen Liebe wirklich zu fühlen. Die Angst davor kann einen jahrelang von der Heilung abhalten.

Doch wenn man ihn einmal richtig gefühlt hat, genügt das für die Heilung. Es ist nicht notwendig, sich wiederholt in diesem alten Leid zu ergehen. Dieser Ansatz entspricht noch einigermaßen den therapeutischen Maßnahmen von Maaz, wie im vorigen Artikel beschrieben. Doch viele Kollegen und ich gehen oft noch einen Schritt weiter.

Da unser Geist zwischen einer tatsächlichen und einer vorgestellten Erfahrung nicht unterscheiden kann, ist die eigene Imagination äußerst hilfreich. Man kann sich nämlich die Wirkung plastisch vorstellen, wie es ist, von der eigenen Mutter, dem eigenen Vater die so dringend ersehnte Annahme, Bestätigung und Bejahung zu erhalten. Das kann seelisch schon sehr helfen.

Selbstliebe ist bewusste Zuwendung zur eigenen Seele

Noch viel kraftvoller ist die Wirkung der Vorstellung des eigenen erwachsenen Selbst als bemutternden und bevaternden Aspekten gegenüber dem Kinderselbst. Tatsächlich können wir uns selbst nähren!

Zu den magischen Phänomenen unseres Menschseins gehört die Fähigkeit, dass wenn wir an jemanden denken, diese Gedanken bei ihm ankommen. Und zwar ganz besonders, wenn wir das mit intensivem Gefühl tun. Unabhängig von der physischen Entfernung, die zwischen uns liegen mag. Viele Paare, Eltern und Kinder und enge Freunde kennen das.

Genauso erreichen wir auch uns selbst mit unseren eigenen liebevollen Gefühlen und Gedanken, wenn wir diese bewusst zu unserem bedürftigen Kinderselbst senden. Vielen hilft dabei, ein Stofftier oder ein Kissen wie ein Kind zu halten – ein Kind, das sie gleichzeitig selbst sind! So fließen dann liebevolle Gedanken, Gefühle und Energie aus dem eigenen Herzen auf heilsame Weise in die Verletzung der Vergangenheit. Wer das Bedürfnis hat, kann dies gerne mal ausprobieren!

Sogar die Natur hilft uns

Wer noch mutiger ist und auch Vertrauen in die Metaphysik hat, der kann sich auch von der kosmisch-väterlichen und kosmisch-mütterlichen Energie (nach)nähren lassen. Dann hält man einfach Gesicht und Brust Richtung Sonne und bittet die Sonne, mit der Wärme auch die alten Verletzungen im eigenen Männlichkeitsfeld zu heilen.

Unser Weiblichkeitsfeld wird von der Erde genährt. Dazu stellt man sich mit beiden Füßen auf die Erde. Oder noch besser, legt sich ins Gras und stellt sich vor, von der liebenden Mutter Erde umfangen zu werden, wie von einer menschlichen Mutter. Dann  bittet man auch sie um die Heilung der alten Wunden im eigenen weiblichen Feld.

Das erscheint vielen sicher verrückt – aber jene, die es ausprobiert und sich dieser psycho-physischen Erfahrung geöffnet haben, geht es dann meist merklich besser!

Seinen Narzissmus kann man in Wirklichkeit nur selbst heilen

Der Ursprung von Narzissmus liegt – da stimme ich Maaz völlig zu – in einem Mangel an tiefer Liebeserfahrung in der frühen Kindheit. Dieser Liebesmangel führt letztlich zu einer Unfähigkeit, sich als Erwachsener mit anderen in Liebe zu verbinden. Darunter leiden viele Menschen tatsächlich sehr. Sowohl jene, die lieben wollen, als auch jene, die geliebt werden sollen.

Diesbezüglich befragt, erklärte die geistige Welt einer medialen Freundin und mir, dass Narzissmus dann heilt, wenn man sich wieder seinem eigenen Licht, der eigenen Seele zuwendet. Dies ist zunächst einmal eine bewusste Entscheidung, die beinhaltet sich selbst (wieder) bedingungslos lieben zu lernen und beginnt mit der bewussten und kompletten Annahme alles Erlittenen und der Verantwortungsübernahme für die eigene Heilung, sowie der Bereitschaft, diese für möglich zu halten.

Nur Selbstliebe kann Narzissmus heilen

In Wahrheit gibt es also niemanden, der einen davon heilen kann, außer einem selbst. Wer nicht bereit ist, sich der eigenen Seele wirklich anzunehmen, dem kann auch kein Therapeut helfen.

Narziss verzweifelte letztlich an seiner nicht erfüllbaren Liebe zu sich selbst, bzw. seinem Selbstbegehren. Hätte er eine Chance gekriegt, sich nicht nur selbst zu kennen – womit der Seher Teiresias offenbar sein Spiegelbild im Wasser meinte. Sondern sich zu erkennen, hätte vielleicht ein heilsamer Erkenntnisprozess einsetzen können. Dieser hätte ihm letztlich wahre Selbstliebe, statt tödlicher Selbstsehnsucht ermöglicht. Dann hätte er vielleicht lernen können, ein Teil des Kreislaufs des gesunden Austauschs von Liebe zu werden. Dann wäre er nicht in der Sackgasse des unstillbaren Begehrens verendet.

Ein hilfreiches Bild

Vor einiger Zeit fragte mich eine junge Freundin, ob und in welchem Maße ich bei mir selbst je Narzissmus wahrgenommen hätte. Ich musste an gewisse mehr oder weniger schmerzhafte Momente in meinem Leben denken. Und dachte an unsere Wahrnehmung der Welt, in der uns vielleicht besonders mit Beginn der Pubertät der narzisstische Spiegel noch an die eigene Nasenspitze stößt. Es ist eine Zeit, in der wir praktisch alles persönlich nehmen. Reflektion fällt uns schwer und wir vereinigen alle Superlative unserer jeweiligen Wahrnehmung auf uns. Sei sie nun positiv oder negativ…

Doch mit der Zeit ahnen wir, dass es klug ist, den Spiegel etwas weiter zu weg zu halten.  Je älter und bewusster wir werden, umso größer wird der Abstand zwischen uns und dem Spiegel. Wir nehmen uns zwar immer noch zentral wahr – schließlich sind wir die Protagonisten unseres Lebens… Aber je weiter der Blick wird, umso mehr sehen wir andere und begreifen, dass sie wiederum die Helden ihres Lebens sind… Damit wird alles immer relativer…

So schrumpft dann oft die einstmalige narzisstische Störung auf ein erträgliches Maß. Mit Hilfe verschiedener Erkenntnisse und Erfahrungen erreicht man dann allmählich die so notwendige „narzisstische Sättigung“. D.h. einen wachsend gesundenden Selbstwert. Dieser erlaubt, sich selbst und die Welt mit freundlichem Mitgefühl, vertrauensvoller Liebe, humorvoller Gelassenheit und großzügiger Nachsicht wahrzunehmen. Ich denke so oder ähnlich geht es den meisten von uns.

Schmerz durch Vergebung und bedingungslose Liebe ersetzen…

Vermutlich hat fast jeder „narzisstische Zonen“ in der eigenen Psyche wo die „Software der Selbstliebe“ einst korrumpiert  und stattdessen ein Schmerzprogramm aktiviert wurde. Doch das Programm kann man ändern und damit verändert sich auch das eigene Spiegelbild. Man sieht nicht mehr nur, was man alles erlitten hat, was einem alles fehlt und was man braucht… Sondern man lernt, sich mit allem vollkommen zu würdigen und anzunehmen, wie gesunde Eltern ihre Kinder. Oder als sei man Gott und sähe seine eigene göttliche Schöpfung im natürlich göttlichen Spiegel… Wie könnte man dieses einzigartige göttliche Kind nicht wahrhaft und bedingungslos lieben?