Ich habe gerade viel mit gestressten Eltern zu tun, die oft die Traumatisierung ihrer Kinder fürchten. Nicht von ungefähr, denn in vielen Ländern hat die Schule wieder begonnen. Generationen von Kindern und Eltern sind erneut möglicher Traumatisierung ausgesetzt – und natürlich nicht nur in der Schule. Traumatische Situationen sind schlicht Teil unseres Lebens.
Traumatische Erlebnisse lauern überall
Die Gelegenheiten zur Traumatisierung in Kindheit und Jugend sind vielfältig und allgegenwärtig: Trennungsschmerz von der Familie, Angst vor dem Unbekannten, Mobbing, Diskriminierung, Schikane, Leistungsstress, Sportstress, Essensstress, Überforderung, Unterforderung. usw. usf.
Nicht jede traumatische Situation muss bei jedem Gemüt zur Traumatisierung führen – aber kann. Wen es wann wie trifft, weiß man vorher nie. Doch die meisten Eltern würden das am allerliebsten unbedingt verhindern.
Das eigene Trauma trübt die Sicht
Vor allem, weil sie das oft an ihre eigenen traumatisierenden Erlebnisse erinnert. Besonders, wenn deren Nachwirkungen bis heute ihre Lebensfreude trübt. Manchmal ist ihnen das bewusst, manchmal nicht. Doch haben viele Eltern kein völlig entspanntes Verhältnis zu ihrer eigenen Jugend, zur Schule und zur Machtposition der Lehrer. Egal, wie weit sie sich davon inzwischen entfernt haben mögen.
Eine mir befreundete Grundschuldirektorin erzählte, dass sie den Vater eines Jungen zum Elterngespräch geladen hatte. Dabei rutschte dieser im Stuhl vor ihr unsicher hin- und her und mied ihren Blick, wie sein siebenjähriger Sohn. Ansonsten leitet der Herr Papa das örtliche Klinikum und es ist kaum vorstellbar, dass er mit Autorität ein Problem hat.
Einige Traumen werden weitergereicht
Die Schule ist oft ein Kernthema, wenn Eltern zu mir zu einer Sitzung kommen. Es geht z.B. um Prüfungsängste, unverständlichen Leistungsdruck – den die Kinder sich selbst machen, nicht die Eltern! Oft auch um die Sorge ob „gute“ oder „ungute“ Freundschaften und Einflüsse auf die Kinder wirken und ob es überhaupt die richtige Schule ist usw.
Mit nur wenig Nachfragen erfährt man dann, dass die beunruhigte Mama oder der besorgte Papa (und manchmal beide!) selbst in der Schule gelitten haben. Sie fürchten dann natürlich, dass ihren eigenen Kindern ähnliches widerfahren könnte. Und manchmal übertragen sie diese Ängste auch unbewusst und ziemlich direkt auf ihre Kinder… So entstehen dann in Familien beispielsweise ganze Glaubenssysteme wie: ‚Mathe ist nur was für Jungs‘ oder ‚Schulsport ist schrecklich“.
Wenn man mit seinen unguten Schulerinnerungen keinen Frieden geschlossen hat, ist es natürlich umso schwieriger, den eigenen Kindern ein entspanntes Verhältnis zur Mathematik oder Mannschaftssport zu vermitteln…
Ohnmacht und Hilflosigkeit im Angesicht von Trauma wuchern
Besonders wenn dann noch Dinge, wie ADHS oder Autismus diagnostiziert werden, fühlen sich die meisten Eltern erst einmal restlos überfordert. Sie wollten doch nur ein „normales“ Kind und ganz „normale“ Eltern sein. Aber ehrlich gesagt: „normal“ ist ein künstliches Konzept. In meiner Erfahrung gibt es das gar nicht. Dafür aber ganz viel Einzigartigkeit, der aber jeder immer gerecht werden kann – wenn er oder sie will.
Wenn das eigene Kind in der Schule oder überhaupt gesellschaftliche Schwierigkeiten hat, stürzen viele Eltern erst einmal innerlich ab. Sie haben das Gefühl, total versagt zu haben, etwas falsch gemacht zu haben und möglicherweise als Erziehungsberechtigter überhaupt untauglich zu sein. Die brutale Erkenntnis, dass es offenbar nicht reicht, die Kinder zu lieben ist schmerzhaft und die Frage, was über die liebevolle Versorgung hinaus notwendig sein könnte, überwältigend.
Scham, Ängste, Ohnmacht und Hilflosigkeit dominieren dann über Vertrauen, Mut und der Bereitschaft, Hilfe einzufordern und anzunehmen. So kann aus dem Trauma der Kinder auch ein Trauma für die Eltern werden. Dabei ist die Ursachenforschung beim Trauma zwar wichtig, aber noch wichtiger ist es, einen guten Umgang damit für alle Beteiligten zu finden.
Die Wurzeln eines Traumas können unterschiedlich sein
Manchmal liegen einer als traumatisch erfahrenen Situation gar nicht die übernommenen Ängste und unerlöste Traumen der Eltern zugrunde, oder nur zum Teil. Oft spielen auch Dynamiken aus weiter zurückliegenden Generationen oder gar aus anderen Leben eine starke Rolle. Nur weil ein Kind klein ist, heißt das nicht, dass es nicht einen komplexen Seelenplan und Lebensweg hat. Die Anforderungen können schon früh beginnen. Bei manchen schon mit einer schwierigen Geburt oder problematischen Lebenssituation der Eltern.
Genau wie die Familie und die Lebenssituation, in die man hinein geboren wird, ist die Schule natürlich auch ein bevorzugtes „Trainingscamp“ für die persönliche Charakterbildung und Bewusstseinsentwicklung. Und das gilt für jede Schule, egal wie fortgeschritten sie in der Handhabung ihrer Aufgabe bereits ist. Da gibt es nämlich auch in unserer Zeit bereits phantastische Beispiele, wo Kindern und dem Potential was ihnen inne wohnt, wirklich gedient wird. Und nicht, wie bisher, Kinder zu Dienern der Gesellschaft gemacht werden sollen und ihr Potential oft auf der Strecke bleibt – was natürlich besonders traumatisch ist.
Das Verhindern von Trauma ist nicht die Lösung
Selbst wenn wir wollten, könnten wir Traumen gar nicht verhindern. Sie sind seit Äonen Teil unseres Seins. Und es ist in unserer Kultur absolut üblich, dass traumatisierte Menschen Kinder großziehen und ihre eigenen Kindheitstraumen oft unbewusst und mehr oder weniger ungefiltert weiterreichen. Die Angst vor Lehrern und Autorität, vorm Versagen und Scheitern, ausgegrenzt zu werden – weil man einfach anders ist oder nicht mitmachen kann oder will… Diese und andere Ängste sind Teil unseres derzeitigen irdischen Lebens. Wenn wir das nicht erfahren wollten, hätten wir als Betonklotz oder auf einem Planeten, wo alles berechenbar, überschaubar und einfach ist, inkarnieren müssen….
Es ist doch nur logisch, dass wir bei unser aller Liebe zu spannender Unterhaltung, auch spannende Leben wählen. Die Helden auf der Leinwand oder dem Bildschirm erleben sogar oft noch weit schlimmere Dinge als wir. Doch sie gehen daraus in der Regel stärker, weiser und souveräner hervor… Das ist auch in unseren Leben möglich. Das hat etwas mit unserer Haltung uns selbst und dem Leben gegenüber zu tun. Wenn wir uns als die Helden würdigen, die wir sind – dann wird das Leben endlich zu dem Abenteuer, nach dem sich so viele von uns sehnen und wir werden immer stärker, weiser und souveräner!
Insofern ist also das Vermeiden wollen von traumatischen Situationen kontraproduktiv.
Herausforderungen sind lebensnotwendig
Vom berühmten amerikanischen Medium Edgar Cayce las ich einmal folgende Geschichte – die genaue Quelle konnte ich bisher nicht wieder finden – dass einmal trauernde Eltern zu ihm kamen. Sie waren voll des Vorwurfs ihm gegenüber. Denn als ihr Sohn ein Baby war, hatte Cayce ihm eine grandiose Zukunft prognostiziert. Doch nun war mit achtzehn bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Dabei hatten sie doch alles getan, um ihren Sohn vor Ungemach zu schützen und alle möglichen Hindernisse zeitig aus seinem Weg geräumt. Schweren Herzens erwiderte Cayce, dass sie damit auch die Voraussetzungen für die Entfaltung seiner großartigen Begabungen aus dem Weg geräumt hatten. Jetzt fehlten seiner Seele die notwendigen Herausforderungen und Wachstumschancen und also habe sie sich für einen frühen Ausstieg aus diesem Leben entschieden.
Das Leben regelt die Dinge
Falls ein wohlmeinender Vater oder enthusiastiscche Mutter jetzt tatsächlich im Umkehrschluss meint, dem eigenen Kind nur ordentlich Trauma bieten zu müssen, damit es daran ordentlich wachsen kann dem sei gesagt: das ist nicht eure Aufgabe. Das Großziehen von Kindern geschieht in Partnerschaft mit dem Leben und um diesen speziellen Aspekt kümmert sich das Leben selbst, das Universum, Gott oder welcher metaphysischen Instanz auch immer ihr vertraut. Diese ist sich des Seelenplans und des Potentials des Kindes immer gewahr und orchestriert sein Leben entsprechend – wenn wir es zulassen. Nur sehr wenige Menschen verfügen über einen solchen Überblick und die entsprechende Intelligenz – und glücklicherweise muss das auch keiner von uns können. Vertrauen, Demut und die Bereitschaft das Kind seiner höheren Bestimmung anzuvertrauen reichen völlig aus. Außerdem ist das sehr viel erfreulicher für euch und eure Kinder, als Ängste und ein Kontrollbedürfnis zu nähren.
Und so lange wir als Gattung noch nicht wissen, wie man auch ohne Schocks, Leiden und Schmerzen und wächst, so lange sind Traumen und ihre Überwindung wichtig für unsere Bewusstseinsentwicklung.
Wir müssen lernen, mit einem Trauma klug umzugehen
Aber was Eltern und Lehrer und sonstige Bezugspersonen, denen das Wohl des Kindes am Herzen liegt sehr wohl tun können, ist, dem Kind bei der Bewältigung von traumatischen Situationen zu helfen, so gut es jeder eben kann. Noch haben das die wenigsten von uns gelernt. In der Regel stressen wir uns gegenseitig mit unseren Traumen, statt dass wir uns bei der Bewältigung helfen. Doch es geht auch anders.
Menschen können sich zusammenschließen und gemeinsam einem Kind helfen: es gibt kluge Schulpädagogen und Psychologen, die gemeinsam mit den Eltern und dem Kind einen Weg suchen, mit seiner herausfordernden Situation zurechtzukommen. Daran wachsen dann alle Beteiligten – nicht nur das Kind.
Kinder verstehen psychische Dynamiken oft besser, als wir ahnen
Gerade heutzutage – so beobachte ich es zumindest – haben viele Kinder ein psychologisches Verständnis oder gar Bewusstsein, das ihre Eltern und Lehrer oft verblüfft. Wenn es gelingt, mit ihnen darüber auf ihnen gemäße Weise zu sprechen, verstehen sie sehr viel und setzen das dann auch oft für sich klug um. Die meisten Kinder wollen in Wirklichkeit gar nicht, dass das Problem für sie gelöst wird. Sie wollen sich aktiv daran beteiligen dürfen. Denn nur das führt zur ersehnten Ermächtigung und Selbständigkeit.
Man kann ein Trauma auflösen
Es gibt auch immer die Möglichkeit, Traumen restlos aufzulösen. Manche können sich schon im intimen Gespräch im Freundeskreis und der Familie wandeln. Für andere braucht es Hilfe von außen. Die moderne Psychologie bietet diverse Traumatherapieformen an. Viele Osteopathen und andere, entsprechend geschulte, Körpertherapeuten wissen, wie man Körpertraumen auflösen kann. Auch Hypnotherapeuten oder Schamanen können der richtige Ansprechpartner sein. Und schließlich gibt es sehr viele großartige Bücher, Vorträge und Filme, die Licht ins eigene Dunkel bringen können, um besser zu verstehen, worin das quälende Trauma eigentlich besteht.
Wichtig ist auch, sich immer wieder daran zu erinnern, dass man ein liebenswerter Mensch ist und bleibt, auch wenn man eine traumatische Erfahrung gemacht hat und sich gerade im eigenen Körper und Leben fremd fühlt. Ich würde es beschreiben als ein Schockgefrieren der Gefühle im Augenblick des traumatischen Erlebens und es braucht Selbstliebe, Geduld und liebevolle Aufmerksamkeit eines anderen, diese aufzutauen und behutsam zu verarbeiten.
Die Wirklichkeit des Erlebten Traumas anzuerkennen ist wesentlich
Ein fundamentaler Aspekt dabei ist das darüber sprechen dürfen, das Erlebnis detailliert schildern zu dürfen – oftmals mehrfach. Wenn der andere offen zuhört, ohne über die Erfahrung zu urteilen oder sie gar beschönigen, mildern oder ändern zu wollen – dann ist schon sehr viel geholfen. An erster Stelle steht das Anerkennen des Erlebten – die Gefühle, die dadurch ausgelöst wurden, zu würdigen und zu benennen. Dafür braucht es manchmal mehrere Durchgänge. Das ist meiner Erfahrung nach der erste Schritt zum Loslassen und zur Wandlung.
Die Wandlung geht dann in der Regel vom Traumatisierten aus. Das ist auch viel wirksamer und nachhaltiger, als wenn man als Außenstehender versucht, sofort Lösungswege anzubieten. Das wird oft als retraumatisierend wahrgenommen, weil das Erlebte und die dadurch hervorgerufenen Gefühle wieder „nicht sein dürfen.“
In Wirklichkeit wissen wir alles, was wir brauchen
Meine Erfahrung ist tatsächlich, dass keiner von uns Probleme hat, die er nicht auch selbst lösen kann. D.h. die Antwort auf all unsere Fragen befindet sich in uns. Auch welcher Heilungsweg für uns der Beste ist, können wir uns selbst am besten beantworten. Aber diese Antworten in uns zu finden, ist aufgrund persönlicher Widerstände, oder einer gewissen Taubheit uns selbst gegenüber (oft aufgrund von Trauma…), großen Zweifeln oder schlicht mangelnder Übung oft unmöglich. Dann ist es äußerst klug, sich Hilfe zu holen, um die eigene innere Stimme wieder hören zu können.
Manchmal sind wir dann sogar dankbar fürs Trauma
Wenn dieser Kontakt zum eigenen Wesen wieder hergestellt ist, offenbart sich schließlich auch der eigene Weg aus dem Trauma. Der kann manchmal ganz anders sein, als die Literatur oder ein Ratgeber meint. Doch den eigenen Impulsen zu folgen, schürt ganz nebenbei auch das Vertrauen ins eigene Wesen und ins Leben. Ohne dieses Erlebnis hätte man sich vielleicht gar nicht um die Wiederherstellung des Kontakts zur eigenen Seele bemüht. Und der fehlte vielleicht schon vor dem erlebten Trauma. Doch wenn man diesen Kontakt einmal hat, will man ihn nicht mehr missen. Denn er kann neuen Lebensmut und Schöpferkraft katalysieren.
Darüber hinaus stärkt einen nichts mehr und bringt einen weiter, als eine scheinbar unüberwindliche Herausforderung zu meistern. Sehr oft ist es genau das, was dann andere dazu inspiriert oder motiviert, sich ihren eigenen Herausforderungen zu stellen. Ein gutes Ende ist immer möglich – auch wenn der Weg dahin nicht immer leicht ist und seine Zeit braucht!